Aktuelle Reaktion von BAG auf Erstattungsanträge für LKW-Maut

 

Aktuelle Reaktion von BAG auf Erstattungsanträge für LKW-Maut

Bereits am 28.10.2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH in der Rechtssache C‑321/19) entschieden, dass die LKW-Maut in Deutschland jahrelang falsch berechnet wurde, unter Anderem dürfen die Kosten der Verkehrspolizei nicht der Mautzahler auferlegt werden. Nun gibt es erste Reaktionen des Bundesamts für Güteverkehr (BAG)

Aktuell zum 23.04.2021 !!!

Am heutigen Tage wurde in der Kanzlei die letzte Reaktion von BAG zugestellt. Mit Schreiben vom 16.04.2021 wird mitgeteilt, dass vor dem Verwaltungsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 14 K 6556/20 ein Musterverfahren zur Sach- und Rechtslage mit Blick auf das WKG 2013 anhängig gemacht wurde. Sofern Ansprüche auf LKW-Maut ab dem 01.01.2019 geltend gemacht werden, werde ein weiteres Musterverfahren zur Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der LKW-Maut auf Basis des WKG 2018 durchgeführt. Aus diesem Grund schlägt das BAG die Ruhendstellung des von uns eingeleiteten Verwaltungsverfahrens vor und stimmt dem Ruhen bereits mit dem genannten Schreiben zu, bis vor dem VG Köln geführten Musterverfahren zum WKG 2013 und zum 2018 rechtskräftig abgeschlossen sind. Wir prüfen derzeit, ob ein Anschluss an diesem Verfahren für unsere Mandanten sachdienlich ist.

Zum Verfahrensgang

Im Jahre 2013 hat eine polnische Transport-GbR Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben und beantragt, die im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 18. Juli 2011 gezahlte LKW-Maut zurückzuerstatten. Zu Unrecht nach Ansicht des Verwaltungsgerichts – mit Urteil vom 01.12.2015 – Az.: 14 K 7974/13 haben die Kölner Richter die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfallen eingelegt und bekam Recht in der ersten Schlacht – mit Beschluss vom 28.03.2019 hat das OVG zu den aufgeworfenen Rechtsfragen die Auffassung vertreten, dass die Klage ganz überwiegend zulässig sei und geht dabei davon aus, dass die Festsetzung der für die Klage maßgeblichen Mautsätze auf beachtlichen Kalkulationsmängel beruhen. Insbesondere vertrat das Gericht die Auffassung, dass die Kosten für die Verkehrspolizei, die bei der Kalkulation der Mautsätze mitberücksichtigt wurden, nicht zu Grunde gelegt werden dürfen und somit ein Verstoß gegen die Richtlinie 1999/62/EG in der Fassung der Richtlinie 2006/38/EG zu bejahen sei. Das Gericht hat ein umfassendes Gutachten zu den Mautkalkulationen eingeholt und ist zum Ergebnis gekommen, dass allein unter einer vollständigen Eliminierung der Polizeikosten der durchschnittliche Mautgebührensatz um etwa 6 % überhöht sei. Jedoch war nach Ansicht des Gerichts eine endgültige Entscheidung ohne einer Vorlage zur Vorabentscheidung vor dem EuGH rechtlich nicht möglich.

Der EuGH hat mit dem genannten Urteil vom 28.10.2020 eine Vorabentscheidung getroffen und der polnischen Klägerin weitgehend Recht gegeben und u.a. entschieden, dass

  • Die europäischen Rechtsvorschriften dahin auszulegen sind, dass die Kosten der Verkehrspolizei nicht unter den Begriff der „Kosten für den Betrieb“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen sind;
  • Der Rechtssuchende sich direkt vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die Verpflichtungen des Staates aus der Richtlinie berufen darf;
  • Der Staat durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung kein überhöhter Mautgebührensatz rechtfertigen darf.

Reaktion der Betroffenen

Diese Entscheidung hat eine Welle von Erstattungsanträgen an die zuständige Behörde – das Bundesamt für Güteverkehr – ausgelöst.  Letzteres insbesondere deswegen, weil im Gegensatz zum Ausgangsverfahren mit § 4 Abs. 2 Satz 2 BFStrMG in der Fassung des Gesetzes vom 5. Dezember 2014, BGBl. I S. 1980 ein zwingendes behördliches Erstattungsverfahren vor dem BAG eingeführt wurde, was eine Klage vor dem Verwaltungsgericht wie im Fall der polnischen Klägerin vor Durchführung dieses Verfahrens unzulässig machen würde. Nach mehreren Hinweisen von Industrie- und Handelskammern sowie Speditionsverbänden wurde auch sehr laut die Auffassung vertreten, dass Ansprüche aus dem Jahre 2017 bereits zum 31.12.2020, also keine 3 Monaten nach der Entscheidung von EuGH verjähren.

Reaktion von BAG

Unsere Kanzlei hat im Namen von zahlreichen Speditionsunternehmen aus ganz Europa auch entsprechende Anträge an BAG kurz vor Jahresende 2020 gestellt, nun kam die erste Reaktion. Zwar wurde nicht in jeder Angelegenheit zurückgeschrieben, angesichts des Aktenzeichens im sechsstelligen Bereich dürfte dies aber auch verständlich sein. Jedoch ist die Stellungnahme von BAG verständlicherweise immer identisch. Man verteidigt sich vorerst damit, dass eine Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfallen noch aussteht. Die Entscheidung von EuGH sei nur eine Vorabentscheidung. Eine etwaige Übertragbarkeit des Ergebnisses jenes Verfahrens sei erst nach dem Abschluss abschließend zu prüfen. Dann versucht die Behörde gleich wie im Verfahren vor dem EuGH damit zu argumentieren, dass die Bundesrepublik Deutschland alle Wegekostengutachten seit 2002 ordnungsgemäß bei der EU-Kommission notifiziert habe. Die Anlastung der Kosten der Verkehrspolizei sei nie beanstanden worden. Der EuGH habe in seinem Urteil (Rz. 52) ausdrücklich die zustimmenden Stellungnahmen der EU-Kommission vom 10. Dezember 2014 (C 2014 9313 final) und vom 16. Januar 2019 (C 2019 60). Die BRD habe deswegen darauf vertraut, dass die Anlastung der Kosten der Verkehrspolizei EU-rechtskonform sei.

Zwar hat das BAG Recht in Bezug auf die Natur der Entscheidung von EuGH und freilich auch darüber, dass in Deutschland noch keine rechtskräftige Entscheidung im Verwaltungsrechtswege getroffen wurde. Dem eigentlichen Argument der Behörde ist der Wortlaut der Entscheidung von EuGH drei Absätze nach dem obigen Zitat entgegenzusetzen:

„Rn. 55 Nur ganz ausnahmsweise kann der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung)

Rn. 57 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht dargetan hat, dass die Voraussetzung des guten Glaubens der Betroffenen erfüllt wäre.“

Verjährung von Ansprüchen

Die Behörde weist ferner darauf hin, dass etwaige Ansprüche aus der Zeit bis Ende 2016 gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 BFStrMG i.V.m. § 21 Abs. 2 BGebG bereits verjährt seien. Somit gibt die Behörde auch zum Ausdruck, dass auch dort die Auffassung vertreten wird, Ansprüche aus dem Jahre 2017 seien Ende des Jahres 2020 verjährt, es sei denn, man habe einen entsprechenden, verjährungshemmenden Erstattungsantrag bis 31.12.2020 gestellt. In Bezug auf die von unserer Kanzlei gestellten Anträge wurde bestätigt, dass die Verjährung nach Maßgabe des § 204 Abs. 1 Nr. 13 BGB kraft Gesetzes gehemmt wird.

Obgleich die Auffassung von BAG über die Verjährung rechtlich plausibel und nachvollziehbar erscheint, ergibt sich im gegenständlichen Fall eine Besonderheit:

In Bezug auf die geltend gemachten Erstattungsansprüche keine Verjährung im Sinne von § 21 Abs. 2 BGebG ein, solange keinen Bescheid nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BGStrMG ergangen ist. Denn die dreijährige Verjährung beginnt erst mit Unanfechtbarkeit des Gebührenbescheides. Die Abrechnung der Mautgebühren erfolgt aber in der Regel durch eine Abrechnung von Toll Collect GmbH. Das BVerwG hat mit Urteil vom 04.08.2010, Az.: 9 C 6.09 eindeutig zwischen dem privat-rechtlichen Verhältnis zwischen Gebührenzahler und Toll Collect GmbH und zwischen dem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen Bund und Gebührenzahler. Die Abrechnung von Toll Collect GmbH. Aus der Gründen des Urteils:

„Für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Der Einbuchungsbeleg, den der Kläger erhalten hat, setzt die Maut nicht hoheitlich fest, sondern dient gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. §§ 5, 7 Abs. 5 ABMG und § 7 Satz 2 LKW-MautV dem Nachweis der ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut, den der Mautpflichtige bei Kontrollen erbringen muss, um nicht nachträglich nach § 8 ABMG zur Maut veranlagt zu werden.“

Aus Sicht des BVerwG stellt die Abrechnung durch den Betreiberunternehmen (derzeit Toll Collect GmbH) keine hoheitliche Festsetzung dar, es fehlt daher an dem ganz wesentlichen Merkmal eines Verwaltungsaktes, nämlich an einer hoheitlichen Maßnahme zur Regelung des Einzelfalles. Zusammenfassend lässt sich genauso gut auch die Auffassung vertreten, dass bisher in Bezug auf die Festsetzung der Mautgebühren überhaupt kein (den Lauf der Verjährung auslösenden) Gebührenbescheid ergangen ist, nach dem Wortlaut von § 21 Abs. 2 BGebG beginnt die Verjährung somit nicht zu laufen. Ob weitere Verjährungstatbestände in Betracht kommen soll erst geprüft werden, die obigen Ausführungen zeigen aber, dass ein Nachdenken über den sonst zutreffend erscheinenden Ausführungen von BAG sich doch lohnen kann.

Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen

Aus unserer Sicht gibt es für die Betroffenen nun mehrere Möglichkeiten:

  • Man kann natürlich die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfallen abwarten und mit einer gewissen Rechtssicherheit sich der Meinung dieses Gerichts anschließen. Anzuraten ist gleichwohl, die Ansprüche auf jeden Fall vorher beim BAG geltend zu machen.

 

  • Man kann nach Geltendmachung der Ansprüche vor dem BAG und verstreichen von einer drei-monatigen Frist ab Antragstellung unter gewissen Umständen Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben und somit auf eine eventuell schnellere Entscheidung hoffen.

 

  • Man versucht wegen der immer noch herrschenden Unsicherheit und des Risikos auf beiden Seiten zügig eine außergerichtliche Einigung mit BAG, in dem Fall selbstverständlich unter teilweisem Verzicht der geltend gemachten Ansprüche, zu erzielen.

Disclaimer

Bitte beachten Sie, dass die obigen Ausführungen reinen Informationscharakter haben. Sie ersetzen keinesfalls eine umfassende und auf den Einzelfall bezogene Rechtsberatung, die in solchen komplexen Fällen unbedingt notwendig ist.

Gerne beraten wir Sie in Ihrer eigenen Angelegenheit.